Subjektive und objektive Hilfsbedürftigkeit

Neulich nachts in der Notaufnahme, etwa gegen zwei Uhr morgens. Es ist einiges zu tun, aber es gab schon schlimmere Nächte.

Ich untersuche gerade eine Patientin, ein anderer Patient wartet bereits in einem anderen Untersuchungszimmer. Plötzlich höre ich die Klingel, sehe kurz im Augenwinkel, es ist die Anmeldung. Also ein neuer Patient. Die Pflege ist irgendwo hinten mit bereits vorhandenen Patienten beschäftigt. Da ich sowieso etwas holen will, werfe ich mal einen Blick auf den Neuankömmling. Ein junger Mann in den Mittzwanzigern wird durch seine Mutter gestützt, sie stehen bereits im Flur, obwohl noch nicht aufgenommen. Ich Frage kurz was los sei. Ihr Sohn brauche dringend Hilfe. Er meint in ziemlich herablassenden Ton, ihm gehe es nicht gut. Der Mann atmet ruhig, sieht überhaupt nicht krank aus und der Ton passt nicht zu einem kranken Menschen. Ob sie schon angemeldet seien, frage ich. Nein, sie warten schon eine Viertelstunde, ihm gehe es so schlecht. Kurzer Check: Das Klingeln ist keine zwei Minuten her, es wird nicht gesagt, was der Patient hat, und bis auf das Festhalten zeigt der Mann nicht die geringsten Anzeichen eines Problems. Also sage ich deutlich, sie hätten draußen zu warten. Wieder eine sehr aggressive Antwort des Patienten. Noch nie hat bei mir jemand dermaßen auf sofortige Untersuchung gedrängt. Nun kommt jemand von der Pflege und nimmt die beiden mit, ich kann mich endlich wieder um meine Patientin kümmern.

Einige Minuten später kommt die Schwester zu mir rein, sagt sie habe den Patienten wegen des Drängelns in einen Untersuchungsraum gelegt hat, sie habe aber nicht erfahren was eigentlich los sei. Ein paar Minuten später bin ich mit meiner Patientin vorläufig fertig und schaue mal nach dem jungen Mann. Alle meine Instinkte sagen, er hat nichts, aber wer weiß. Wieder kriege ich die Antwort ihm gehe es nicht gut. Erst als ich, mittlerweile genervt, deutlich sage, dass ich ihm nur helfen kann, wenn er mir genaueres sagt, rückt er mit der Wahrheit heraus. Er habe zu viel Alkohol getrunken, es geht ihm daher nicht so gut und er will jetzt eine Infusion, damit es ihm wieder besser gehe und er morgens wieder zur Arbeit kann. Dabei hält er mir den Arm mit entblößter Ellenbeuge hin.

Nun werde ich deutlich. Dafür dermaßen zu drängeln, dass man sofort ran käme. Er ist weder krank, noch ein Notfall. Ausserdem gibt es nichts, was den Kater verhindert. Er schaut mich an, wird noch einmal verbal aggressiv. Ich werde nun deutlich, weder kann, will und werde ich ihm helfen. Nun steht er ruckartig auf und verlässt flinken Schrittes – ohne die bis eben noch so dringende Unterstützung seiner Mutter – die Notaufnahme. Nicht ohne massive Beleidigungen, wofür wir überhaupt da seien, wie dumm wir doch seien usw.

Ich rufe ihm nur noch ein Hausverbot hinterher. Später darf ich wieder alles ausführlich dokumentieren.

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