Schreiendes Kind

Notarztdienst in meinem ersten Jahr als Notarzt. Ich liege abends gemütlich vor meinem Fernseher im Dienstzimmer der Klinik. Der Melder reisst mich aus dem Halbschlaf, Alarm für 2-82-1. Auf geht’s, der Fahrer holt mich am Klinikeingang ab.

An seinem Fahrstil merke ich, dass etwas nicht stimmt. Mich noch anschnallend, frage ich ihn, was los ist. Zyanotisches Neugeborenes, atmet nicht mehr sei die Meldung. (Blau angelaufen bei Atemnot)

Oh Scheisse, kommentiere ich. Ein Kind nicht retten zu können, davor habe ich am meisten Angst. Und viel schlechter kann die Einsatzmeldung kaum sein. Der Fahrer fährt, was das Auto hergibt, so schnell waren wir noch nie unterwegs. Während mein Hirn hin- und hergeschüttelt wird, versuche ich krampfhaft, mir alles Wichtige ins Gedächtnis zurück zu rufen.

Viel Zeit bleibt dafür nicht, der Einsatzort ist in der Nähe. Der Rettungswagen ist nur Sekunden vor uns dagewesen, die Kollegen haben gerade die Koffer aus dem Wagen geholt. Ein Mann hält uns die Tür auf, ich renne erst mal los, die Kollegen folgen. Im Treppenhaus höre ich ein Kind schreien, ich registriere, es kommt aus der betreffenden Wohnung. Im Flur steht eine Frau mit einem schreienden Neugeborenen auf dem Arm. Ich frage, ob dies unser Patient sei, erhalte keine Antwort, alle sind zu aufgeregt. Langsam, aber laut und deutlich Frage ich erneut: „ist dies das Kind, weswegen wir gerufen wurden?“ Nun kommen mehrere bejahende Antworten.

Noch nie habe ich mich so sehr über ein schreiendes Kind gefreut.

Ein schreiendes Kind lebt und atmet noch. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Aber ich habe keine Zeit, diesen kurzen glücklichen Moment zu genießen. Bei der Untersuchung des Kindes fällt nichts auf. Die Familie zu beruhigen ist deutlich aufwendiger. Wir fahren das Neugeborene zurück zur Geburtsklinik, wo es am gleichen Morgen erst entlassen wurde.

Unterwegs machen mir die Eltern mehr Sorgen als unser Patient, letzterer schläft gemütlich und versteht die Aufregung nicht.

Aber alle kommen fit an der Klinik an.

Erst danach habe ich Zeit, alles zu verarbeiten. Noch nie habe ich mich so sehr über ein schreiendes Kind gefreut!

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