Als Notarzt auf dem Land hat man eigentlich seine Ruhe. Meistens Hausarztdienste mit Blaulicht. Gefährliche Einsätze kennt man nur vom Hörensagen, von Kollegen in den großen Städten. Bis zu dieser Nacht.
Als die Meldung Schießerei kam, musste ich dann doch erst mal kontrollieren, ob ich nicht noch schlafen würde. Nein. ich war wach. Ein kleines, ruhiges Nest in der Nähe, und dann Schießerei. Die Leitstelle meldete sich „über Draht“ (Telefon, um ein Mithören wichtiger Details zu vermeiden) und vermeldete, dass wir nur zur Bereitstellung dort hin müssten, die Polizei noch im Einsatz sei. Mein Fahrer schaltete zurück, das wurde dann die langsamste Anfahrt zu einem Einsatz überhaupt. Ich überlegte schon, ob es nicht sinnvoller sei, das Blaulicht auszuschalten, mein Fahrer hatte die gleiche Idee. Genug Zeit, mir noch mal alles zum Thema Schussverletzungen durch den Kopf gehen zu lassen.
Die Gegend war abgesperrt, der Rettungswagen war schon da. Unser Warteplatz war direkt hinter der Absperrung, also noch in Sicherheit. Um uns herum standen diverse Polizisten, diese nun deutlich schwerer bewaffnet als sonst. Und alle in schußsicheren Westen. In schwarz. Moment, die Polizisten in ihren schußsicheren Westen waren alle schön schwarz gekleidet – und wir standen dort in unseren knalligen Warnfarben herum. Auf wen würde ein Täter wohl als erstes schießen? Sicher doch nicht im dunkeln auf schwarze Schatten.
„Auch bei völliger Ahnungs- und Hilflosigkeit – immer Kompetenz ausstrahlen“ – das Wichtigste, was man in über sechs Jahren Studium lernt. So auch hier. Ruhe bewahren, Ruhe und Sicherheit ausstrahlen. Gar nicht so einfach. Noch schwieriger wurde es, als uns plötzlich ein Polizist heran rief. Die unterwegs stehenden schwer bewaffneten und vermummten Polizisten förderten nicht gerade mein Sicherheitsgefühl. Es ging zum Glück in ein anderes Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Nachbarn wurden hier in Sicherheit gebracht. Die Patientin hatte seit ein paar Wochen streßbedingt immer mal wieder Bauchschmerzen, so auch jetzt. Die ambulante Abklärung läuft, in eine Klinik wollte die Patientin nicht. Nach einem kurzen Check lasse ich ihr den Willen. Hier gab es auch mehr Informationen, der Täter sei gefasst, man durchsuche die Umgebung nach weiteren Waffen oder eventuellen Mittätern. Verletzt wurde niemand.
Am Rettungswagen zurück, mache ich mir Gedanken, wie lange das dauern kann. Die Rettungswache der Kollegen ist in Sichtweite, keine 100 m entfernt. Ich will schon vorschlagen, unseren Standort dorthin zu verlegen – dort gibt es immerhin Kaffee – als der Einsatz für beendet erklärt wird.
Meine Kollegen schauen mich am nächsten Tag ungläubig an. Eine Schießerei, hier bei uns? Am Mittagstisch wird über die optimale Versorgung von Schußwunden heiß diskutiert – Erfahrungen damit hat hier zum Glück niemand.