Das Harnwegs-Rezept

Harnwegsinfekte sind in unserer Notaufnahme immer ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ergibt sich die Frage, ob wir überhaupt zuständig sind und nicht der Hausarzt die bessere Wahl ist. Andererseits kann ich das abendliche Dilemma der (fast ausschließlich) Patientinnen verstehen und für uns sind sie schnell abgearbeitet. Also schauen wir uns die Patienten kurz an, den Urinstix macht die Pflege. Rezept rausschreiben, kurzes Briefchen für den Hausarzt und dann geht es eben schnell weiter. Bis zu diesem Abend.

Bei mir wird eine Patientin mittleren Alters mit Harnwegsinfekt angemeldet. Ich habe anderwertig zu tun, so dass mich die Schwester fragt, ob sie schon mal einen Urinstix (Schnelltest für Harnwegsinfekt) durchführen soll. Auf der Anmeldung steht „war heute beim Hausarzt“ – das verleitet mich dazu, erst einmal nein zu sagen. Nicht selten kommen Patienten und beschweren sich, warum nach einmaliger Antibiotikaeinnahme noch keine Besserung eingetreten sei – dafür brauche ich keine Untersuchung, welche von der Krankenkasse eh nicht bezahlt wird.

Ungefähr so lautet auch die Anemnese. Brennen beim Wasserlassen, häufiger Harndrang mit nur wenig Urin – typische Zeichen einer Blaseninfektion. Sie war morgens beim Hausarzt, dieser habe den Harnwegsinfekt per Urinstix diagnostiziert und ihr ein Antibiotikum verordnet. Soweit alles korrekt. Sie sei nun da, weil die Symptome immer noch da seien. Ich frage sie nun, was ihr denn der Hausarzt verordnet habe. Sie überlegt, sie weiß es nicht genau, antwortet ausweichend. Auch auf Nachfrage erhalte ich keine klare Antwort. Als ich ihr dann sehr deutlich erkläre, dass ich ihr nur dann helfen kann, wenn ich weiß, was ihr der Hausarzt verordnet hat, kramt sie in ihrer Handtasche herum. Sie reicht mir – ein Rezept für ein Antibiotikum. Ich denke kurz darüber nach, ob ich irgendwo schon mal was Homöopathisches über Heilung durch Rezept-Herumtragen gehört habe – erfolglos. Also frage ich die Patientin, warum sie das Rezept nicht eingelöst habe: Sie habe sich mit ihrem Hausarzt geeinigt, das Antibiotikum nur zu nehmen, wenn es nicht von selbst besser würde. Ok, das kann ich gerade so noch verstehen, aber was will dann die Patientin jetzt von mir? Ich frage sie dann also, warum sie dann nicht einfach jetzt das Rezept einlöst?

Diese Frage ist ihr dann zu unverschämt und sie verläßt wutentbrannt meine Notaufnahme. Immer noch ratlos mache ich mich an die Dokumentation.

Am nächsten Tag erhalte ich eine e-mail vom Pflegedirektor(!) meines Hauses. Die Patientin habe sich bei ihm über mich beschwert. Sinngemäß lautet die e-mail: „Das ist nur zu ihrer Kenntnis. Sie brauchen keine Stellungnahme abgeben. Ich habe auch nicht verstanden, was die Patientin eigentlich wollte.“

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