Die (nicht) akute (Nicht-)Luftnot

Es war wieder Erkältungszeit. Und wie jedes Jahr stehen nachts diverse Menschen bei uns an der Anmeldung und klagen über akute Luftnot. Da sich diese insbesondere beim Liegen bemerkbar macht, kommen viele Patienten also nachts.

Eine richtige Luft- oder Atemnot sehen wir unseren Patienten sofort an. Die Atmung ist anders: schneller, flacher oder tiefer. Das Sprechen ist kaum möglich. Es wird die Atemhilfsmuskulator mit verwendet, der Oberkörper oder gleich der ganze Patient geht in Schonhaltung. Diese Patienten werden von unserer Pflege sofort aussortiert und in die Notaufnahme hinein genommen. Für eine erste Diagnostik und eine schnelle Hilfe bei den Symptomen. Wir Ärzte haben nicht immer sofort Zeit, aber die Beschwerden lindern, das kann die Pflege auch erst einmal ohne uns.

Viele – vor allem junge – Patienten stehen aber auch an der Anmeldung, klagen über Luftnot und zeigen keines dieser Beschwerdebilder. Sie reden bei der Anmeldung durch. Diese Patienten werden als grün triagiert – nicht dringend. Die subjektive Luftnot führt aber zu Beschwerden, wann sie endlich dran kämen. Teilweise schon nach fünf Minuten. Manch einer beschwert sich an der Anmeldung so laut, dass ich durch die geschlossene Tür entscheiden kann, dass dieser Patient definitiv keine Luftnot hat. „Sie können ja noch reden – ich kümmere mich erst um Patienten, die nicht mehr reden können“ – darf ich leider nicht sagen.

Viele dieser jüngeren Patienten kommen auch mit ihren Eltern. So wie in diesem Beispiel einer Dame Anfang 20, die mit ihrer Mutter herein kommt. Nicht nur die Luftnot störe sie, sondern auch die Halsschmerzen. Ein Blick in den Rachen: gerötet, Infekt der oberen Atemwege. Ich höre die Lunge ab, nichts krankhaftes zu hören. Ein tiefes Einatmen ist ebenfalls problemlos möglich.

Ich versuche – gefühlt zum 100. Mal in diesem Winter – zu erklären, dass diese Beschwerden zu einer banalen Erkältung dazu gehören. Ein paar Lutschtabletten aus der Apotheke, Schleimlöser dazu, klassische Erkältungstherapie eben.

„Aber sie kriegt doch keine Luft!“ unterbricht mich die Mutter. Überrascht schaue ich die Mutter an – dann die Tochter. Die Tochter sitzt vor mir, atmet ganz normal. „Sie sitzt hier und atmet, also bekommt sie Luft.“ Der Ton wird rauher: „Sie bekommt keine Luft!“ – Nun werde ich deutlicher: „Sie haben doch gerade gesehen, dass ich sie abgehört habe. Sie konnte sogar tief ein- und ausatmen – sie bekommt Luft.“ Nun spricht die Tochter wieder: „Ja, aber das geht schwerer als sonst!“. Ich wiederhole mich nur ungern, aber ich versuche ruhig zu bleiben und erkläre nochmal die Symptome einer Erkältung. Mutter und Tochter verlassen meine Notaufnahme ziemlich wütend und aufgebracht. Ich kann keine Erkältung weg zaubern. Und für Bildungslücken bin ich nicht zuständig. Immerhin muss ich mich dieses Mal nicht wegen nicht gegebener Antibiotika streiten.

Mich stört nicht, dass die Leute keine Ahnung haben. Von vielen Dingen habe ich ja auch keine, von Autos zum Beispiel. Aber ich kann mich dann doch nicht hinstellen, und derart ausfallend werden? Nichts wissen, aber dann doch alles besser wissen? Eine Erkältung ist nicht heilbar durch Ärzte – und muss es auch nicht. Nur ein eiziges Mal habe ich erlebt, dass in einem solchen Fall die Mutter meinen Worten sofort Gleuben schenkte. Sie fragte nach, woher das Gefühl der Luftnot käme. Ich konnte ihr erklären, dass die Schleimhäute sehr wohl anschwellen und das sprechen, schlucken und atmen schwieriger werden kann. Bei großen Kindern und Erwachsenen aber niemals so sehr, dass dies gefährlich werden könnte. Diese Mutter hat sich ob ihrer Überfürsorge entschuldigt. Im nächsten Winter wird sie Halstabletten zu Hause haben.

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