Notarzt versus Hausarzt – der (akute) Brustschmerz

Hausärzte sind ein Thema für sich. Klar, sie stehen unter Zeitdruck wie wir. Klar, dass auch immer wieder Fehler passieren. Ich bin auch nicht perfekt. Bei einigen häuft es sich aber. Manchmal können wir nur noch den Kopf schütteln. Zu einem dieser Hausärzte wurde ich als Notarzt gerufen.

Der Melder geht. Alarm für Notarzt nach Dorf X. Eigentlich genügend Zeit, um sich wie immer über blinde und taube Autofahrer aufzuregen. Heute lief es anders. Ich setze mich ins Auto, frage wie immer, was es denn gibt. STEMI bei Hausarzt sowieso in der Praxis. In Gedanken an den letzten merkwürdigen Einsatz bei diesem Hausarzt antworte ich prompt: „Na hoffentlich hat der Rettungsdienst den Patienten schon vor dem Hausarzt gerettet.“ Ein kurzer merkwürdiger Blick meines Fahrers sagte mir, dass hier das Mundwerk mal wieder schneller war als das Hirn. Das war gar kein Stammfahrer von mir, dieser Fahrer war von ganz woanders. Da sollte man sowas nicht sagen. Zu spät.

Vor Ort zeigte sich jedoch, dass die Kollegen des Rettungswagens die gleiche Idee hatten wie ich: Die Patientin wurde gerade in den Rettungswagen geschoben. Breit grinsend kommt ein Notfallsanitäter auf mich zu: „Frau wasweißich, 60 Jahre, akuter STEMI, Hausarzt hat im Katheterlabor angemeldet, sollen direkt anfahren.“ Dabei hält er mir grinsend das EKG vor die Nase.

STEMI ist ein Herzinfarkt mit klaren Zeichen im EKG. Dagegen gibt es noch einen NSTEMI, dieser ist im EKG nicht zu erkennen. Ein frisch aufgetretener (akuter) STEMI sollte schnellstmöglich im Herzkatheter behandelt werden. Je früher das verschlossene Gefäß geöffnet wird, umso mehr Herzzellen überleben die kritische Situation und umso geringer ist der Schaden für den Patienten. Bei einer Diagnose außerhalb wird daher der Patient nicht in die Notaufnahme gebracht, sondern direkt in das Katheterlabor. Bei älteren Infarkten oder NSTEMIs wird dieser Eingriff jedoch geplant durchgeführt, um Risiken für den Patienten zu minimieren. Daher ist die Entscheidung vor Ort sehr wichtig.

Ich blicke kurz auf das EKG, dann zurück in das immer noch grinsende Gesicht des Notfallsanitäters. „Ähhh …“ – mehr kriege ich gerade nicht heraus. „Das ist das vom Hausarzt geschriebene EKG mit dem STEMI“ höre ich als Antwort. Mein Gesicht muss Bände sprechen. Ich gucke noch mal auf das EKG. Die typische Hebung der ST-Strecke: fehlt. Andere Zeichen des Herzinfarktes: fehlen. OK, versuchen wir es anders. Ich frage die Patientin kurz, seit wann und was sie für Beschwerden hat. Seit 5 Tagen habe sie immer wieder Schmerzen im Brustbereich. Nun reicht es mir. Die Patientin hat keinen STEMI, höchstens einen NSTEMI und dieser ist definitiv nicht frisch. Also nichts mit eilig ins Katheterlabor. Für mich geht alles auf Anfang, nun befrage ich die Patientin genauer. Dabei kommt heraus, dass auch die Symptome der Patientin gegen einen Herzinfarkt sprechen. Kopfschüttelnd gebe ich Anweisungen: Wir fahren nicht das Katheterlabor direkt an, nicht einmal die Klinik mit Katheterlabor. Statt dessen geht es zur nahegelegensten Klinik. Die prompte Ausführung zeigt mir, dass mein Team die gleiche Meinung hat wie ich. Professionell wird das natürlich nicht vor der Patientin diskutiert, das machen wir später.

Auf dem Rückweg rufe ich noch im Katheterlabor an, um uns wieder abzumelden. Dort herrscht Verwirrung – es ist gar keine Patientin angemeldet. Ohne Anmeldung, kein sicherer Herzinfarkt und nicht mal akut – Der Kardiologe hätte mir sicher den Kopf abgerissen.

In der Klinik bestätigt sich mein Verdacht. Die Schmerzursache geht nicht vom Herzen aus (Spezielle Herzwerte im Labor sind beweisend). Das Problem kann behoben werden, die Patientin wird wenige Tage später wieder fit und schmerzfrei entlassen.

Titelbild: Bild von TheUjulala auf Pixabay

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