Sprachlos im Untersuchungsraum

In der Notaufnahme wird mir ein älterer Herr vorgestellt mit nicht eindeutigen Beschwerden. Im Untersuchungsraum liegt besagter Patient bereits auf der Trage, seine Ehefrau ist bereits mit im Zimmer. Bei „unklaren“ Beschwerden ist die Anamnese immer besonders wichtig, um erst einmal eine Idee zu bekommen, was die Ursache der Beschwerden sein könnte.

Auf meine Fragen antwortet immer die Ehefrau. Das ist zwar nett von ihr, aber nicht wirklich zielführend. Die vom Patienten gegenüber seiner Frau angegebenen Beschwerden werden durch subjektive Eindrücke über den Status des Mannes ergänzt und durch das Setzen eigener Prioritäten verändert. Dann wird das ganze durch gefährliches Halbwissen aus dem Hörensagen des regelmäßigen Kaffeeklatsches interpretiert, noch mit den unwichtigsten Beiträgen der letzten Jahre Apothekenrundschau gemixt und dem Arzt das Ergebnis dann vor die Füße geworfen.

Das kann sogar unangenehm enden: Wenn man nicht alles sofort verstanden und natürlich zum gleichen Ergebnis kommt, wird man schnell als schlechter Arzt abgestempelt und das Vertrauen in eigene Therapieversuche schwindet. Die einzige Methode, dies zu umgehen, ist das rechtzeitige Übernehmen der Gesprächsleitung – also den Redeschwall unterbrechen. Des weiteren sollte man sich natürlich nach Möglichkeit an den Patienten selbst wenden.

Trotz mehrerer Versuche, die Frau zu überreden, ihren Mann sprechen zu lassen, bekam ich als maximale Antworten „Ja“ und „Nein“. Mehr Gespräch ließ die Ehefrau nicht zu. Und nicht nur das, während ihrer Reden rückte sie mir auch körperlich immer sehr nahe. Quasi auf wenige Zentimeter, also sehr unangenehm nahe. Während ihrer Redepausen ging sie dann wieder auf „normalem Sicherheitsabstand“.

Also die Anamnese kam irgendwann zu einem halbwegs befriedigendem Ende und ich wollte beim Patienten Blut abnehmen. Leider waren seine Venen nicht viel besser als seine Gesprächigkeit. Das anstrengende Gespräch sorgte nun auch nicht unbedingt für die notwendige Ruhe bei mir. Ich wechselte für einen erneuten Versuch den Arm, hatte also nun den Patienten zwischen mir und seiner Frau liegen. Letztere verstand dies nun offensichtlich als Aufforderung, ihre Reden fortzuführen. Wie zuvor schon, versuchte sie erneut, mir dabei körperlich nahe zu kommen. Dafür lehnte sie sich so weit über den Patienten, dass ich beinahe nichts mehr gesehen hätte. Nun doch sehr von ihr genervt, versuchte ich ihr dies freundlich aber bestimmt mitzuteilen.

Ich schaute ihr also direkt in die Augen, machte dazu ein ernstes Gesicht und fragte laut und deutlich: „Können Sie mir einen großen Gefallen tun?“ Die Frau stockte, dachte sehr kurz nach und kam auf das richtige Ergebnis: „Ich soll mich hinsetzen und die Klappe halten?“ Nicht wirklich freundlich, aber zumindest sehr ehrlich antwortete ich „Ja, bitte“ und wandte mich wieder dem Arm zu.

„Endlich ….. Endlich …. Endlich sagt ihr das mal jemand! Ich danke Ihnen! Ich danke Ihnen so sehr!!!“ rief jetzt der Ehemann plötzlich. Bisher hatte ich nur ein gegrummeltes „Ja“ oder „Nein“ von ihm gehört – und nun so etwas.

Das war so überraschend für mich, die Situation so grotesk – ich legte die Nadel beiseite, murmelte noch schnell „Das muss jemand anderes machen“ und verließ den Raum. Draußen konnte ich dann erst mal laut loslachen.

Blut abnehmen musste dann tatsächlich jemand anderes.

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

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