Nachtschicht Teil 3, Sonntag Nacht

Wie erwartet war der Sonntag extrem heiß. Ich konnte gerade mal zwei Stunden unruhig schlafen. Übermüdet und mit Kopfschmerzen gehe ich zur Arbeit.

20:00 Uhr: Auch heute war der Kollege vom Tagdienst fleißig. Er berichtet, das Haus sei komplett voll, es gäbe keine freien Betten mehr. Zwei Patienten müssen daher in der Notaufnahme übernachten, eine dritte Patientin könne später eventuell gehen. Ich hoffe nur, die Nacht wird ruhig, sonst wird es knapp. Meiner Patientin auf Intensivstation, die wir in der vergangenen Nacht reanimierten, geht es besser. Vor allem der Herzrhythmus sieht sehr gut aus. Sie sei jedoch noch etwas verwirrt – das ist aber nicht überraschend.

20:30 Uhr: Eine Patientin in der Notaufnahme. Eigentlich ein ambulant lösbares Problem, damit wird die Krankenkasse dies sehr ungern zahlen. Aber irgendwas ist schief gelaufen, was genau, will und kann ich nicht klären. Zumindest geht es der Patientin jetzt schlechter. Die Tochter der Patientin merkt, dass ich zurückhaltend bin, ich kann ihr aber die Gründe verständlich machen.

20:45 Uhr: Mitten in der Aufnahme klingelt das Telefon. Reanimation auf Intensivstation. Die Patientin von gestern, welcher es vorhin noch relativ gut ging. Dieses mal benötigt sie schon zwei Elektroschocks, bis ihr Herz wieder von sich aus arbeitet. Aus der Erfahrung der Nacht davor schlauer geworden, bekommt sie gleich ein starkes Schmerzmittel, das zudem noch leicht sedierend ist. Es gelingt uns, die Situation besser in den Griff zu bekommen.

21:00 Uhr: Ich bin noch beim dokumentieren der Reanimation, als das Telefon im Alarmmodus klingelt – Schockraum. Der Schockraum ist ein spezieller Raum für dringende Notfälle vom Rettungsdienst. Mit eigener Beatmung- und Überwachungstechnik, in großen Häusern sogar mit eigenem Röntgen und Computertomographen. Bei instabilen Patienten werden diese Patienten vom Notarzt angekündigt. Im Haus werden ganze Ärzte- und pflegeteams alarmiert und stehen zur Übergabe parat. In unserer kleinen Klinik ist mit wenigen Ärzten und Pflegenden nicht ganz so viel möglich. Wir kriegen vorrangig formale Schockräume – dem Patienten geht es eigentlich gut, aber aufgrund des Unfallhergangs wird zum Ausschluss versteckter Verletzungen ein Schockraum ausgelöst, so wie in diesem Fall. Ich flitze los. Meiner Patientin von vorhin und deren Tochter reiche ich schnell noch eine Aufklärung zur Untersuchung für morgen zu und entschuldige mich für einen weiteren Notfall. Der Schockraum ist aufwendig und kostet Zeit.

22:15 Uhr: Ich starte einen erneuten Anlauf bei meiner eigentlich noch ersten Patientin. Zumindest für drei Minuten, dann werde ich von einer Schwester aus dem Zimmer geholt. Nur ein kleines Problem: Eltern stehen mit ihrem Kind vorne. Viele glauben nicht, dass wir keinen Kinderarzt haben und diskutieren mit der Pflege. Da die Pflege keine Patienten abweisen darf, werden wir Ärzte geholt. Ein kurzer Blick auf den Patienten sagt mir, dass die Eltern selbst in die Nachbarklinik fahren können und weise den Patienten formal ab. Die Eltern sind sauer. Aber ist eine nicht optimale Behandlung besser? Ich verstehe das nicht, aber frage auch nicht mehr. Endlich kann ich mich um meine eigentliche Patientin kümmern. Patientin und Tochter sind sehr verständnisvoll. Während ich dokumentiere, fragt mich die Tochter respektvoll über meine Arbeit aus. Das beantworte ich gerne – die meisten wissen gar nicht, wie schwierig es manchmal für uns ist, zwischen so vielen Patienten zu jonglieren. Am Schluss bedanken sich beide und wünschen mir eine ruhige Nacht – auch das ist selten geworden.

23:00 Uhr: Unser Rettungsdienstmonitor, welcher eintreffende Rettungswägen anzeigt, muss kaputt sein. Vier Rettungswagen fast gleichzeitig sollen kommen. Zwischendurch liegt noch ein nicht von mir gesehener Patient in der Notaufnahme. Und tatsächlich, alle Rettungswagen kommen direkt nacheinander. In unserer kleinen Notaufnahme bricht das organisierte Chaos aus. Zwischen den vielen Rettungsdienstmitarbeitern sind die Patienten kaum zu finden. Nur keinen Fehler machen, jeden Patienten kurz checken und die Dringlichkeit festlegen. Hier etwas zu übersehen, kann Menschenleben kosten. Mit den vier Patienten wäre dann auch meine Notaufnahme voll. Ich kann also eigentlich dann niemanden mehr aufnehmen, muss es aber. Natürlich klingelt es gleichzeitig an der Anmeldung, jetzt eine Jugendliche. Erst will mich der Pfleger weg holen, um die Patientin abzuweisen, dann holt er sie doch zu einem Checkup rein. Ich kriege mit, dass das Chaos halbwegs organisiert abläuft und schaue nach der Jugendlichen. Leider werde ich hier total angeblafft von der Mutter. Die Frage, was denn das Problem sei, wird mit einem herablassenden „das liegt da“ beantwortet, auch meine weiteren Fragen. Zumindest kriege ich raus, dass die Patientin seit zwei Tagen Fieber habe und deshalb seit Stunden sehr schwach sei. Der Pfleger kontrolliert die Vitalzeichen. Die Patientin ist krank, aber nicht akut gefährdet. Ich entscheide, dass sie in die Kinderklinik muss. Meine Frage, ob die Angehörigen sie selbst fahren können, wird erst mit einer kurzen Schimpftirade, was wir für eine scheiß Klinik seien beantwortet und dann mit einem Roman, wie schlecht es der Patientin gehe, beantwortet. Ich habe die Nase voll, unterbreche die Mutter nun deutlich und frage, ob sie eine einfache Frage nicht auch einfach beantworten könne. Offensichtlich nicht, aber ich erhalte dann doch ein „Nein“ als Antwort. Also lassen wir einen Transport organisieren. Kopfschüttelnd verlasse ich den Raum.

Mein Chaos draußen wirkt nun organisierter. Zwei Patienten sind chirurgisch, einer davon eine Verlegung aus einem anderen Krankenhaus. Das ist praktisch: zwei Patienten, um die ich mich nicht kümmern muss, und der Rettungswagen mit der Verlegung kann auf dem Rückweg meine junge Patientin mitnehmen. Von meinen beiden Patienten kommt eine mit ihrer Tochter, also ist die Patientin erst mal beobachtet. Die andere Patientin kommt wegen Verwirrung aus einem Pflegeheim. Offensichtlich hat sie viel zu wenig getrunken. Auch sie ist der Meinung, unsere Hilfeleistung mit Schlägen beantworten zu wollen, ist aber zum Glück zu langsam.

01:00 Uhr: Das Chaos in der Notaufnahme ist nun beseitigt, alle Patienten aufgenommen. Wegen der jugendlichen Patientin und ihrer pöbelnden Mutter frage ich den Pfleger aus, der sie aufgenommen hat. Die Mutter habe das Chaos mit dem Rettungsdienst gesehen, trotzdem seien 2 Minuten Wartezeit einfach zu lang gewesen. Und dass wir sie noch verlegen, ging dann gar nicht mehr. Wohlgemerkt, der Patientin geht es seit Stunden schlecht, und Fieber plättet nun mal. Kopfschüttelnd dokumentiere ich wohlweislich die Situation – das hilft bei eventuellen Beschwerden.

01:30 Uhr: Die Intensivstation ruft an, sie haben die Patientin erneut geschockt, sie sei wieder stabil. Dass ich erst hinterher angerufen werde, spricht Bände. Ich gehe wieder über die Stationen und hoffe, dass endlich Ruhe einkehrt.

02:00 Uhr: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Drei Patienten in der Notaufnahme, kurz nacheinander. Bei allen dreien frage ich mich, was sie um die Uhrzeit in der Notaufnahme machen. Alle drei schicke ich nach Sichtung wieder nach Hause. Eine ältere Dame hatte eher Angst und war froh, dass nichts gewesen sei. Die anderen beiden waren samt Angehörigen enttäuscht, dass ich ihre Probleme nicht wegzaubern konnte. Aber wenn die Probleme seit Monaten bestehen, was soll ich nachts in der Notaufnahme klären?

02:30 Uhr Ich will gerade ins Bett, da ruft eine Station an: ein Patient mit blutverdünnender Medikation habe seit über einer Stunde Nasenbluten. Ich schnappe mir die Nasentamponaden zum Ausstopfen und gehe hin. Nach einigen Versuchen – der arme Patient – liegen die Tamponaden richtig. Aber sie scheinen die Blutung nicht zu stillen. Nach einer halben Stunde bestelle ich einen Rettungswagen und lasse den Patienten in die Uniklinik fahren – nur dort gibt es nachts einen HNO-Arzt.

03:00 Uhr: Die Palliativstation ruft an, dort ist ein Patient verstorben. Auch dies gehört zu unseren Aufgaben. Zwischendurch schaue ich noch mal auf der Notaufnahme vorbei, hier sammelt sich immer etwas Arbeit an.

04:00 Uhr: Die Intensivstation ruft an: Die Patientin ist erneut im Kammerflimmern, nach vier Elektroschocks kein Erfolg. Sie fragen, was sie tun sollen. Gemäß der tagsüber getroffenen Entscheidung der Kollegen stellen wir alle Versuche ein und lassen die Patientin gehen.

04:30 Uhr: Ich gehe ins Bett.

05:00 Uhr: Die Notaufnahme ruft an, die verwirrte Patientin aus dem Pflegeheim sehe schlecht aus. Tatsächlich, die Patientin sieht aus wie nach einem großen Schlaganfall oder einer Hirnblutung. Ab in die Computertomographie. Wegen immer noch leicht anhaltender Unruhe bekommt sie etwas zum sedieren, danach schläft sie gut. Ich sehe auf dem CT nichts Auffälliges. Die Patientin hat eine Patientenverfügung, ich halte mich mit weiteren Maßnahmen zurück.

05:30 Wieder im Bett. Es ist hell draußen, also nichts mit gut schlafen.

05:45 Uhr: Die Stationsschwester von dem Patienten mit Nasenbluten ruft an. Der Patient sei wieder da und blute erneut aus der Nase. Nun entscheide ich, ihn da zu behalten, die örtliche HNO-Praxis macht spätestens um 9:00 Uhr auf. Um Kreislaufproblemen entgegen zu wirken, ordne ich Flüssigkeitsgabe an. Und drehe mich wieder um.

06:00 Uhr: Der Radiologe ruft an. Er sieht im CT auch nichts – ich bleibe also liegen

06:15 Uhr: Das Telefon klingelt. Trotz Flüssigkeitsgabe gehe es dem Patienten nun etwas schlechter, die Nase blutet weiter. Ich stehe verzweifelt auf und bereue, das Telefon nicht doch aus dem Fenster geworfen zu haben. Für den Patienten lasse ich Blutkonserven kreuzen, mehr kann ich aktuell nicht tun.

06:45 Auf der Notaufnahme geht der Betrieb los, zwei neue Patienten. Ich fange mit beiden an, muss aber den Rest dem Tagdienst überlassen.

07:30 Uhr: Übergabe beim Chef, danach Visite auf der Notaufnahme.

08:30 Uhr: Feierabend. Ich kann nicht mehr. Draußen ist es etwas kühler als am Vortag, aber sehr schwül. Ich werde wieder nicht schlafen können – aber muss ja erst am Mittwoch wieder arbeiten.

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