Patienten mit chronischen Erkrankungen sind für uns nicht immer leicht. Allen voran gehen Alkoholiker und COPD-Patienten. COPD ist quasi die Raucher-Lunge: Verschiedene Wirkungen des Rauchens lösen kombinierte, dauerhafte Veränderungen der Lunge auf. Die Lunge wird sehr viel empfindlicher für Infekte und letztendlich kann man an Lungenversagen sterben.
Die Patienten, die mit ihrer Krankheit umgehen lernen und wirklich verstehen, dass sie krank sind, diese Patienten sind die einfacheren. Diejenigen, die vor ihrer Familie, vor uns und auch vor sich selbst diese Krankheit verbergen, diese Patienten sind echt schwierig. Jede Klinik, jede Notaufnahme hat mehrere Stammpatienten dieser Kategorie. Ich war mal in einer Klinik, da hatte die Notaufnahme schon Betten, die nach ihren Dauerpatienten benannt sind: „Das Schulz-Bett ist wieder besetzt!“ hieß es dann.
Besonders interessant wird es, wenn man diese Patienten als Notarzt auch noch zu Hause besucht. So wie bei diesem, nennen wir ihn Herrn Müller. Herr Müller ist chronischer Raucher. Seine Lunge ist so kaputt, dass er dauerhaft Sauerstoff braucht. Des weiteren kann er nur noch wenige Schritte mit Hilfe eines Rollators gehen. Vor wenigen Jahren konnte er noch mit mobilem Sauerstoffgerät die Wohnung verlassen, das geht nun längst nicht mehr. Immer wieder ruft er wegen Atemnot den Rettungsdienst. Bei Atemnot wird auch immer wieder der Notarzt mit bestellt. Häufigste Ursache: Sein 20 m langer Sauerstoffschlauch verheddert sich irgendwo oder klemmt unter einem Schrank fest. Dann bekommt er natürlich keinen Sauerstoff mehr und hat Atemnot. Knapp 1.000 Euro für einen Notarzteinsatz, weil Herr Müller einen Knoten im Sauerstoffschlauch hat – oder seinen Rollator auf dem Schlauch geparkt hat. In besten Zeiten bis zu drei Mal in der Woche. Selten ist tatsächlich seine COPD akut verschlechtert, so dass er in die Klinik muss.
Immer wieder schimpfen wir mit ihm, er soll aufhören mit rauchen. Immer wieder sagen wir, vor allem nicht, wenn er Sauerstoff hat, das ist gefährlich. Jedesmal schimpft er aufgebracht zurück, er rauche gar nicht mehr. Unser Argument, dass es in seiner Wohnung massiv nach Rauch stinkt, führt er auf die alten Möbel, Gardinen und Tapeten zurück. Ganz unrecht hat er nicht, die Wohnung ist komplett in verschiedenen Gelb- und Brauntönen gefärbt. Aber glauben tut ihm trotzdem niemand. Wegen seiner notorischen Lügerei, verbunden mit einer ordentlichen Portion Arroganz und sehr herablassenden bis aggressiven Umgangs ist er bei allen sehr unbeliebt.
Bei einem seiner letzten Krankenhausaufenthalte war er so schwach, dass er nicht mehr alleine aufstehen konnte. Dies besserte sich kaum. Er ließ sich überreden, in ein Pflegeheim zu wechseln. Wir hofften sehr, dass er nun das Rauchen einstellen würde, da es im Pflegeheim eigentlich nicht mehr geht. Es erfolgt auch extra ein Hinweis an das Pflegeheim, das Rauchen und Sauerstoff sich nicht vertragen, um ihn weiter unter Druck zu setzen.
Die übliche Aussage: „Es ist doch eh zu spät, lasst ihn doch rauchen“ ist komplett falsch. Die Lunge ist tatsächlich irreparabel geschädigt, aber man kann eine weitere Verschlechterung deutlich ausbremsen. Zum anderen hat Rauchen noch eine direkte und schnelle Nebenwirkung: Die Bronchien und Bronchiolen verengen sich als Verteidigungsreaktion für mehrere Stunden. Dafür reichen schon 3 Zigaretten am Tag aus. Die schon vorgeschädigten, chronisch entzündlich veränderten Bronchien ziehen sich also noch weiter zusammen – bis es irgendwann zu eng wird. Daher ist auch bei kaputter Lunge weiter rauchen sehr schlecht.
Nun hatte ich nachts in der Notaufnahme einen Patienten mit Rauchgasinhalation. Ich habe ihn erst gar nicht wieder erkannt. Gesicht und Hände waren komplett schwarz – wie bei diversen Comics nach Explosionen. Und so war es auch. Unser Herr Müller hatte geraucht bei laufendem Sauerstoff – es kam zu einer sogenannten Verpuffung. Über dem Ruß zeigten sich viele fehlende Haare, unter der Rußschicht kleinere Verbrennungen. Das Problem ist aber der eingeatmete Sauerstoff: Die Nasenschleimhäute sind mit verbrannt. Initial ging es ihm nicht schlecht, aber nun funktioniert die Sauerstoffgabe nicht mehr richtig (üblicherweise über die Nase) – einige Stunden später bekam er eine ausgeprägte Luftnot.
An dieser Verpuffung sterben immer wieder Menschen. Wir weigern uns daher, Heimsauerstoff an Raucher heraus zu geben. Nicht selten sterben nicht nur die Patienten selbst – die Verpuffung kann einen Wohnungsbrand auslösen.
Ich weiß nicht, ob dieser Patient es nun begriffen hat. Wie immer, weiß er alles besser. Und wir wissen nicht mehr weiter, was wir mit ihm machen sollen.
Bild von Reimund Bertrams auf Pixabay
Super geschrieben. Bestimmt nicht immer leicht mit solchen „Müllers“.
krass und ich drücke mal bewusst keinen Like