Gelegentlich mache ich auch mal Notarztdienste bei Sanitätsdiensten – zur Absicherung von Veranstaltungen. Dies kann je nach Veranstaltung (und Bezahlung) durchaus einen besonderen Reiz haben. Wer darf schon bei einem Konzert problemlos in den Backstagebereich, hinter die Absperrung und das ohne Kosten?
In diesem Fall war es ein Motocross-Wettbewerb. Vorteil: Es gibt definitiv ein paar Freiwillige, an denen ich meine nur wenig vorhandene Trauma-Erfahrung üben kann. Nachteil: statt erfahrene hauptamtliche Rettungsdienstler, die ein eingespieltes Team sind, habe ich nun ehrenamtliche Helfer. Trotz aller Ehren und Übens sind diese längst nicht so geübt wie meine sonstigen Rettungsdienstler. Ergo: während ich sonst grob die Richtung vorgebe, ein bisschen mit Medikamenten jongliere und dann eher Zuschauer bin, muss ich nun deutlich mehr denken und quasi jedes Detail mit beachten.
Motocross bedeutet, spektakuläre Unfälle aus der Nähe zu betrachten und sich dann wundern, dass der vermeintliche Patient einfach wieder aufsteht und weiter fährt. Meistens zumindest. Hier wurde ich dazu gerufen, schmerzbedingt ging es mit einem Patienten nicht weiter. Er konnte von der Streife vor Ort zwar von der Strecke gezogen werden, lag nun aber nur drei Meter neben dieser und wollte oder konnte nicht weiter.
Standesgemäß zog die Notarztalarmierung diverse Helfer aus der Nähe mit an, so dass ich knapp zehn Helfer um mich herum hatte.
Ein kurzer Check zeigte mir neben kleineren Blessuren Schmerzen an einem Oberarm, durchaus möglich, dass ein am Schultergelenk beteilgter Knochen gebrochen ist. Die Schutzkleidung der Sportler, die sonst Leben und Gesundheit rettet, ist uns beim Arbeiten eher hinderlich: wir kommen quasi nirgends an unseren Patienten heran. Und wenn dieser dann einen Arm nicht bewegen kann, bekommen wir ohne Gewalt und Zerstörungskraft den Schutzpanzer auch nicht weg. Angesichts drohender Kosten für neue Schutzkleidung beißen fast alle Sportler dann lieber die Zähne zusammen und zeigen sich geduldig. Zumindest diesen Vorteil hat man gegenüber dem normalen Verunfallten auf der Straße.
Da ich zumindest einen Unterarm frei bekam, entschied ich, dem Patienten ein ordentliches Schmerzmittel in die Vene zu spritzen. Der Patient war mit der Lösung einverstanden – das beutet das definitive Ende des Turniertages für ihn. In der Staubwolke neben einer aktiv befahrenen Strecke ist das Arbeiten auch nicht wirklich leicht. Meine Hygienemeister in der Klinik würden die Augen verdrehen, wenn sie das sehen könnten. Die starken Schmerzmittel haben immer einen Haufen Nebenwirkungen und werden deshalb nur vorsichtig benutzt. Sozusagen langsam auftitriert bis das richtige Maß zwischen Nebenwirkung und Wirkung. Leider zeigten sich die Nebenwirkungen bei meinem Patienten viel zu schnell. Er verdrehte die Augen und wurde bewusstlos. Naja, zumindest ist er jetzt schmerzfrei. Leider vergessen die meisten in dieser Situation das Atmen, so dass hier eine Kontrolle und evtl. eine Hilfe von außen notwendig war. Angesichts des „verpackten“ Patienten und der lauten, staubigen Situation war eine vernünftige Atemkontrolle nicht möglich. Meine ehrenamtlichen Helfer waren mangels Erfahrung in einer solchen Situation nun etwas überfordert, ich brauchte einige lautstarke Anläufe bis meine Anweisungen auch durchgeführt wurden. Dazu gehörten auch Dinge, die meine professionellen Helfer automatisch mitgemacht hätten – da muss ich mich wirklich noch dran gewöhnen. Neben den Helfern war allerdings auch der Vater des Patienten aufgetaucht und zeigte sich sehr beunruhigt.
Papa beruhigen, Helfer beruhigen, zusehen, dass alles geschieht – hier kam ich mal schnell an meine Leistungsgrenze. Insbesondere dass Herr Papa nicht locker ließ und wissen wollte, was da geschehen sei. Den Satz von ihm, er habe ja schließlich auch Ahnung von Medizin konnte ich jetzt gar nicht brauchen. Für Nichteingeweihte: Das ist quasi die Vorstufe von ich verklage Dich! Nachdem zumindest sicher gestellt war, dass ich technisch die Atmung des Patienten prüfen konnte, ging nun alles relativ schnell. Rauf auf die Trage, ab in den Rettungswagen 50 m weiter und schnell erst mal zu unserem Stützpunkt. Hier zeigte sich, dass unsere Ehrenamtlichen doch einiges üben und können. Nun hatte ich auch nur noch zwei Helfer dabei, ein paar klare Worte von mir, dass nichts schlimmes passiert sei und wir das hinbekommen und schon hatte wieder ich zwei gute Helfer. Den Vater konnte ich bei der Transportaktion abblitzen lassen.
Ich entschied, den Patienten im Rettungswagen zu belassen und dort zu versorgen. Dank nun vorhandener Ruhe und nicht wehrhaftem Patienten konnten wir ihn nun aus der Schutzkleidung befreien. Unter meinen nun doch schmerzhaften Untersuchungen wurde er auch langsam wieder wach.
So konnte ich gemütlich eine Übergabe an den mittlerweile zum Kliniktransport erschienenen Notarzt und die Rettungsdienstbesatzung machen. Dabei sah der Vater nun auch seinen – jetzt wieder wachen – Sohn und war ebenfalls beruhigt. Eines üben die ehrenamtlichen Helfer immer intensiv: Das Ablenken von Angehörigen (bzw. leicht Verletzten). Offensichtlich haben sie das nach dem ersten Schreck auch hier getan. Ich bekam die Rückmeldung, dass die „Ahnung von Medizin“ des Vaters sich auf ein vor langer Zeit nach dem 2. Semester abgebrochenen Medizinstudium beschränkte. Also wieder nur leere Drohungen.
Ich habe selbst früher ehrenamtlich als Sanitäter gearbeitet. Ich war mir damals immer bewusst, dass ich im gesamten Gebiet der Medizin nur wenig kann. Ich habe mich trotzdem häufig über das respektlose Verhalten der „Profis“ geärgert, wenn sie mal wieder sehr herablassend mit uns umgegangen sind. Nun erlebe ich die Situation von der anderen Seite. Ohne ehrenamtliche Sanitäter wäre vieles nicht machbar. Kleine und große Veranstaltungen, Katastrophenschutz und Schnelle Einsatzgruppen, Helfer vor Ort. Sie arbeiten auf einer anderen Basis, häufig fehlen logischerweise Erfahrungen. Das macht es für uns Profis wiederum nicht leicht, da das gewohnte Zusammenspiel fehlt. Hier müssen auch wir lernen, uns zurück zu nehmen und vielleicht etwas langsamer zu werden. Aber trotzdem mit viel Respekt miteinander umgehen – wir wollen schlussendlich alle das Gleiche: Das Beste für unsere Patienten.