Eines Nachts in der Notaufnahme. Es ist Betrieb, an Ruhe nicht zu denken, aber ich habe schon schlimmere Schichten erlebt.
Wenn meine Pflege mir die Patienten persönlich vorstellt, dann stimmt etwas nicht. Entweder geht es dem Patienten besonders schlecht oder es gab schon Ärger bei der Aufnahme. Letzteres war es mal wieder. jugendliche Patientin mit subjektiv massiven Bauchschmerzen, nicht objektivierbar.
Da heute niemand mehr Schmerzen kennt, werden Schmerzen häufig als höher empfunden als sie es eigentlich sind. Außerdem haben viele gelernt, dass eine erhöhte Schmerzangabe zu kürzeren Wartezeiten führt. Jedoch führen starke Schmerzen immer zu Reaktionen des Körpers. Bestimmte Bewegungen können nicht mehr ausgeführt werden oder laufen anders ab, der Kreislauf reagiert. Das sind meistens deutlich objektivere Schmerzangaben.
Die Patientin habe ein Gespräch über Wartezeiten mitbekommen, bei der von einer Stunde Wartezeit die Rede ist. (Der Durchschnitt liegt deutlich höher) Sie habe dem Pfleger ihre Versichertenkarte auf den Tisch geknallt und ihn mit den Worten begrüßt: „Ich warte hier keine Stunde“. Im weiter unfreundlich-aggressiven Tonfall werden die Fragen des Pflegers beantwortet. Zwischendurch spricht sie in ihrer Heimatsprache ihrem Vater, dabei herablassend und beleidigend über den Pfleger. Dieser hat alles verstanden, reagiert erst einmal nicht.
Eine halbe Stunde später will ich die Patientin mal zwischen zwei andere Sachen kurz sehen. Manchmal sind Bauchschmerzen halt doch richtige Schmerzen, also besser selber überzeugen. Nein, die Patientin sei seit zehn Minuten gegangen. Lautstark habe sie angekündigt, in die nächste größere Stadt zu fahren, weil es ihr zu lange dauert. Das macht natürlich keinen Sinn. 45 Minuten Fahrzeit und dort ist es immer deutlich voller als bei uns. Für mich geht der Abend weiter.
Wie häufig bringt ein Rettungswagen eine Patientin. Genau diese Patientin. Der Vater ist dabei. Beide gucken entsetzt, als ich anordne, dass sie im Wartezimmer zu warten haben. Nun habe ich die Patientin ja kurz selbst gesehen, nun kann sie warten. Des weiteren verweigere ich den Transportschein. Die Familie wird sich über eine saftige Rechnung freuen dürfen. Vielleicht lernen sie ja daraus.
Alle Krankentransporte und der Rettungsdienst müssen ärztlich beauftragt werden. Nur dann zahlt die Krankenkasse (und auch dann nicht immer). Bei Rettungsdiensteinsätzen wird der Auftrag, also der Transportschein, nachträglich unterschrieben – wenn denn der Einsatz berechtigt war. Ein Einsatz eines Rettungswagens kostet je nach Zeit und Region um die 400 Euro.
Nach einer halben Stunde kommt der Vater zu mir rein und beschwert sich, dass er ja nun schon über zwei Stunden warte. Ich meine knapp, das stimme nicht, da die Patientin zu Hause war, zählt es jetzt neu. Außerdem habe er draußen zu warten und nicht einfach in die Behandlungsräume zu gehen. Stur stellt er sich hin, sagt keinen Ton mehr und starrt mich einfach an. Als ich mitbekomme, was er da macht, kann ich mir kaum das Lachen verkneifen. Erinnert mich irgendwie an ein kleines bockiges Kind. Naja egal, raus musste er trotzdem.
Später ist die Patientin tatsächlich dran. Bis auf ein bisschen viel Luft im Darm finde ich nichts. Weil alle drängeln, lasse ich ein Schmerzmittel intravenös verabreichen. Im Verlauf frage ich die Patientin, ob die Schmerzen jetzt besser seien. Ja, sagt sie, die Schmerzen seien weg. Ich schaue auf die Infusion: Von meinem niedrig dosierten Schmerzmittel ist nicht einmal ein Fünftel weg. Von wegen starke Schmerzen.
Als die Rechnung bei der Familie ankam, führte dies zu heißen Diskussionen. Wohl erst mit der Krankenkasse, dann mit der Pflege in der Notaufnahme, dann mit mir. Es gibt keine Unterschrift auf dem Transportschein (zumal auch hier mal wieder Ehrlichkeit oder Reue fehlen…). Wie das am Ende ausgeht, werde ich wohl nicht erfahren. Schade eigentlich.
Sehr gut reagiert. Manchmal muss der Weg über den Geldbeutel gewählt werden. Das tut manchen vielleicht doch etwas weh.
Gibt es ein Mittel gegen Geldbeutelschmerzen? 🙂
LG Bernhard