Herzrasen

Herzrasen ist eine häufige Selbstdiagnose in der Notaufnahme. Gefühlte 95% haben gar kein „Herzrasen“ sondern maximal etwas erhöhte Herzfrequenz. Das Zusammenspiel mit der Psyche wird hier besonders deutlich.

Im einfachsten Fall sehen wir Patienten, die eigene Herzstolperer „Extrasystolen“ mitbekommen. Oh da stimmt was nicht. Nun wird noch weiter in sich hinein gehört. Diese – vollkommen normalen – Extrasystolen werden nun mit immer mehr Angst wahr genommen. Bevorzugt natürlich nachts, wenn man durch nichts abgelenkt wird.

Ein Klassiker ist auch das eigene Blutdruckmessgerät. Wieviel Patienten ich wegen Messfehlern schon „behandeln“ sollte, kann ich nicht mehr zählen. Oder wegen leichten Kopfschmerzen oder ähnlichem wird das Messgerät ausgepackt. Oh je, die Herzfrequenz ist etwas zu hoch. Na, das muss unbedingt kontrolliert werden. Nach zehn Minuten ist die Herzfrequenz noch höher – nun bekommen die Patienten Angst, es wird erneut kontrolliert, die Herzfrequenz durchbricht die Hunderter-Marke – die 112 wird gewählt – und die bösen Ärzte tun gar nichts. Gleiches funktioniert auch wunderbar mit dem Blutdruck.

Wenn man weiß, dass Herzfrequenz und Blutdruck bei Stress ansteigen, erklärt sich auch alles von selbst. Erst sind die Werte wegen Schmerzen leicht erhöht, dann steigen sie wegen dem selbst gemachten Stress, bestehend aus Angst, weiter an. Und verursachen mit der nächsten Messung noch mehr Stress. Meistens merkt man dies den Patienten schnell an, sie sind ängstlich, unruhig, reden schnell und viel – was wiederum die Anamnese deutlich erschwert.

In meinem Nachtschichtblock aus drei Nächten meldete sich nun die siebente Patientin wegen Herzrasens am Schalter an. Ängstlich wirkend, mittleren Alters, zu Fuß in die Notaufnahme kommend. Die Schwester muss wohl nicht allzu begeistert geschaut haben. Selbstverständlich werden die Vitalzeichen gemessen (Puls, Blutdruck, Sättigung) und ein EKG geschrieben. Nun werde ich schnell in den Triage-Raum geholt, das EKG zeigt eine Frequenz von 230. (Normal sind 60-80, problemlos von 50 bis 100). Da EKGs sich gerne mal verzählen, schaue ich mir natürlich auch das EKG an. Das genaue Nachzählen erspare ich mir, dieses Herz ist definitiv zu schnell. Das EKG verrät mir auch, dass die Überleitung vom Vorhof in die Herzkammern das wahrscheinlichste Problem ist.

Eine kurze Anamnese ergibt, dass die Patientin dies seit Jahrzehnten immer wieder habe, dies sonst mit Schlucken von Wasser beheben kann, dies aber aktuell nicht funktioniert habe. Sie habe mehrfach erbrechen müssen. Eine erfolglose Abklärung sei vor sehr vielen Jahren mal passiert. Ich reagiere zügig, lass die Schwestern ein Notfallmedikament aufziehen und einiges an Wasser zum Nachspülen bereitstellen. Die Patientin muss ich unbedingt beruhigen, Vertrauen ist jetzt das wichtigste. Sie hat gute Venen, eine der größeren Zugänge liegt zügig. Ich erkläre ihr nun, dass wir versuchen, mit einem Medikament ihr Herz zu „resetten“, neu zu starten. Das wird sie mit Schwindel, Übelkeit und vielleicht auch Angst merken. Ich beruhige sie, dass dies nur wenige Sekunden dauert. Sie hat Angst, dass das Herz ganz stehen bleibt. Dies kann ich verneinen, das Medikament wirkt nur wenige Sekunden. Deshalb müsse ich es ihr auch mit Schwung in die Vene geben.

Normalerweise gibt ein Taktgeber, der sogenannte Sinusknoten, den Herzrhythmus vor. Über spezialisierte Zellen wird ein elektrischer Impuls in den Vorhöfen weiter gegeben. Der AV-Knoten leitet den Impuls mit etwas Verzögerung von den Vorhöfen an die Herzkammern weiter. Hier wird wiederum der Impuls von spezialisierten Zellen weiter geleitet, um ein möglichst effektives Zusammenziehen des Muskels zu erreichen. Diesen elektrischen Impuls können wir mit dem EKG messen. Nun gibt es verschiedene mögliche Fehler in diesem System. Von harmlosen Extrasystolen (zusätzliche Schläge) bis zum katastrophalem Kammerflimmern, welches eine der möglichen Ursachen eines Herzstillstandes ist. Bei dieser Patientin liegt wahrscheinlich eine zweite Leitungsbahn zwischen Vorhöfen und Kammern vor, die zeitweise eine kreisende Weiterleitung des Pulses verursacht. Das Medikament stoppt die Überleitung im AV-Knoten komplett für wenige Sekunden und unterbricht damit diese kreisende Bewegung. Das Problem: Der reguläre Herzschlag setzt für diese Zeit aus, wird nur durch einen weniger effektiven Notherzschlag ersetzt. Das ist für Patienten unangenehm und löst Angst aus.

Gesagt, getan. Das EKG läuft, ich gebe dem Medikament einen Schubs und lasse schnell Wasser nachlaufen. nach einigen Sekunden steht der Patientin die Angst im Gesicht geschrieben. Das EKG zeigt einen Herzstillstand an, die Vorhofimpulse sind zu sehen, dann auch kurz ein Kammer-Ersatzrhythmus. Dies nur für wenige Sekunden, dann zeigt sich ein normaler, sogenannter Sinusrhythmus. Im Moment noch zu schnell, aber das beruhigt sich nach wenigen Minuten. Auch der durch das Herzrasen viel zu niedrige Blutdruck (Die Pumpleistung ist nicht effektiv) steigt auf niedrig normale Werte an.

Die Patientin bleibt über Nacht und kann nächsten Tag beschwerdefrei entlassen werden. In der Zwischenzeit gibt es an einigen Kliniken elektrophysiologische Untersuchungen. Ähnlich wie bei einem Herzkatheter wird hier eine Elektrode in das Herz vorgeschoben und mit dieser die falsche Leitungsbahn gesucht und dann zerstört. Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit kann somit ein erneutes Auftreten des Herzrasens verhindert werden. Dies empfehlen wir der Patientin dringendst – beim letzten durchchecken des Herzens gab es dies noch nicht.

Es gibt auch Patienten, die nur kurzzeitig und gelegentlich Herzrasen haben. Die meisten merken es nicht, aber einige haben Beschwerden hierunter. Diese von den überängstlichen auszusortieren ist bei schwieriger Nachweisbarkeit gar nicht so einfach. Deshalb ist es auch hier wichtig, die Patienten grundsätzlich erst einmal ernst zu nehmen.

Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay

1 comments

  1. Lieber Tiuri,

    das was Du beschrieben hast, kenne ich aus dem Bekannten- und Verwandtenkreis. Dem Kollegen wurden die falschen Leitungsbahnen erfolgreich zerstört, bei meiner Cousine waren schon 4 solcher Sessions nicht erfogreich.

    LG Bernhard

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