Normalerweise schreibe ich meine Berichte ja ordentlich zeitversetzt, aber zum aktuellen Thema macht es wenig Sinn. Ich will mir das nicht nur von der Seele schreiben, sondern ich will auch aufrütteln. All diejenigen, die immer noch nicht glauben, dass SARS-Cov-2 etwas ernstes ist.
Auch wenn ich bestimmt wieder Ärger kriegen werde, weil ich Angst schüren will. Aber dann halt deutlich:
Sollten Sie ein eher ängstlicher Charakter sein, dann ist dieser Bericht nicht für Sie geeignet!
Ich bin mal wieder als gemieteter Notarzt unterwegs, da vor Ort eine Kollegin erkrankt ist. Morgens mal schnell eine dreistellige Kilometerzahl vor der eigentlichen Arbeit – zum Glück habe ich ja Bereitschaftsdienst und darf zwischen den Einsätzen schlafen.
Abends erhalte ich einen Einsatz, der Melder sagt: Atemnot und Fieber. Das klingt ja schon mal nach Corona, ich krame unterwegs meine FFP2-Schutzmaske hervor. Vor Ort stellt sich die Lage anders dar: Der Einsatzort ist eine Fachklinik (ähnlich einer Rehaklinik). Auch dort erkranken Menschen, aber dass unser Einweiser komplett im weißen Schutzanzug mit Schutzbrille und Maske da steht, macht mir Sorgen. Unser Einweiser ist eine Krankenschwester der Klinik und fragt, wegen welchen Patienten wir kommen.
Wie jetzt, mehrere Patienten? Gleichzeitig meldet sich die Leitstelle telefonisch, es seien mehrere Transporte angefordert. Als ersteintreffender Notarzt soll ich triagieren und entscheiden, wie wir die Patienten in welche Klinik bringen.
Triage bedeutet, ich schaue mir die Patienten an, kriege kurz ein paar Infos und entscheide dann, wie es weiter geht. Ich werfe mich nun vollends in die Schutzkleidung und begleite die Schwester quer durchs Haus. Meine Patienten haben Fieber, seit Tagen kaum noch gegessen und getrunken. Unterwegs erzählt sie mir, dass sie dort über 50 Patienten mit Covid betreuen. Alle unter 60, alle ohne relvante Vorerkrankungen. Leicht genug erkrankt, dass man sie dort unterbringen kann, aber zu schwer erkrankt, um sie zu Hause zu lassen.
Erst langsam wird mir bewusst, was das bedeutet. Die Blicke der Menschen auf mich kann ich nun verstehen. Sie wissen genau, was ich dort mache. Sie haben Angst. Angst davor, dass eines Tages jemand wie ich kommt und sie in eine internistische Klinik weiter verlegen muss. Ich habe noch nie so viel Angst um mich herum gespürt. Die Krankenschwester zeigt nach außen Stärke. Aber während wir alleine sind, merke ich deutlich, dass sie ihre Grenzen überschritten hat. Sie arbeitet fachfremd, hat sonst nichts mit internistischen Patienten zu tun. Auch der Arzt vor Ort ist am Limit. Er ist dankbar, dass ich die Entscheidungen treffe. Für solche Situationen ist er nicht vorbereitet.
Meinen Patienten geht es tatsächlich nicht gut. Für eine ausführliche Anamnese oder Untersuchung habe ich keine Zeit, die Leitstelle will informiert werden. Die Patienten sind alle stabil genug, dass ich nicht alle gleichzeitig in die Klinik fahren lassen muss. Bei einem Patienten beginnen wir mit der Versorgung vor Ort, mein bereit stehender Rettungswagen wird diesen Patienten mitnehmen. Ich kriege zum Glück alle Patienten in der nächsten größeren Klinik unter, der Kollege dort nimmt meine Einschätzung der Patienten telefonisch entgegen. Tauschen will ich mit ihm nicht.
Das weitere Prozedere kläre ich telefonisch mit der Leitstelle. Da nach jedem Covid-Patienten das Auto komplett desinfiziert werden muss, lasse ich Patienten nacheinander verlegen, dann braucht das Fahrzeug nur einmal hinterher „geputzt“ werden. Ein Notarzt ist nicht weiter von Nöten. Die Leitstelle freut sich über das ressourcenschonende Verfahren.
Als der Rettungswagen mit dem ersten Patienten weg ist, ist auch mein Einsatz beendet. Ich muss erstmal durchatmen. Und das nicht nur wegen der FFP2-Maske. Mein Fahrer schaut mich an und meint, dass sei wohl kein typischer Einsatz. Ich kann nur noch den Kopf schütteln.
So langsam wird mir bewusst, was ich da gerade getan habe. Aktuell bekam ich noch alle Patienten problemlos in der Klinik unter. Aber vielleicht muss ich eines Tages entscheiden, Patienten nicht mehr mitzunehmen. Vor Ort sterben zu lassen, weil die Kliniken niemanden mehr aufnehmen können.
Davor habe ich Angst.
Patienten sterben zu sehen, gehört zu unserem Job. Nicht mehr weiterhelfen zu können, weil wir mit unseren Möglichkeiten am Ende sind, ist nicht schön – aber damit komme ich klar. Aber nicht weiterhelfen zu können, weil wir nicht genug technische und personelle Ausstattung habe, das ist ein sehr viel größeres Problem. Meine Kollegen in Italien, Spanien, dem Elsaß als auch in den USA treffen diese Entscheidungen täglich. Ich hoffe, dass wir das nie tun müssen.
Und dann gleichzeitig diese Verschwörungstheorien. Oder aufgeputschte Meinungen von Fachfremden. Oder Beschwerden über Freiheitseinschränkungen.
Ja, unsere Freiheit ist aktuell eingeschränkt. Aber besser so, als dass unsere Freiheit begrenzt ist auf die sechs Seiten der Kiste, in der wir unter der Erde liegen.
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