Heißer Kaffee am Morgen

Es ist kurz nach sechs, der Melder holt mich nun zum fünften mal in dieser Nacht aus dem Schlaf. Nach einer erfolglosen Reanimation morgens gegen drei Uhr bin ich eigentlich fix und fertig und will so richtig nicht mehr. Zumal kurz vor Feierabend – Überstunden vorprogrammiert. Rein in die Klamotten, Handy und Melder vom Ladegerät mitnehmen und ab zum Auto. Möglichst ohne schlaftrunken irgendwo gegen zu laufen.

Im Fahrzeug gibt es weitere Infos: zweijähriges Kleinkind mit Verbrühungen. Hallo wach – so schnell schafft das kein Kaffee auf dieser Welt. Da ich jeden Tag auf einer anderen Wache fahre, bin ich nicht immer ganz sicher, was für Medikamente wir auf den Fahrzeugen haben. Ich gehe dies mit meiner Fahrerin durch und schaue in meinem Handy nach den passenden Dosierungen – Kindernotfälle sind zum Glück so selten, dass wir uns das nicht merken können. Eine falsche Dosierung wäre aber fatal. Wir legen uns einen Plan mit Handlungsoptionen zurecht. Auch die möglichen Zielkliniken gehen wir durch, zum Glück gibt es eine passende Klinik in akzeptabler Reichweite.

Vor Ort weist meine Fahrerin noch kurz den Rettungswagen über Funk ein – der vom Navi vorgeschlagene Weg war ungünstig. Ich gehe schon mal ins Haus, um mir ein Bild zu machen. Im Flur steht der Vater mit einem weinenden Kind auf dem Arm – dies sah aber älter aus als zwei Jahre. Der Vater weist mich auf meine Nachfrage weiter ins Haus, wo mir nun die Mutter mit unserem Patienten auf dem Arm entgegen kommt. Das Kind liegt ruhig bei der Mutter im Arm – für mich ein absolutes Warnsignal. Kinder, die schreien, brauchen dafür Luft und Herzschlag, müssen also beides ausreichend haben. Bei ruhigen Kindern stimmt meistens etwas nicht, hier ist schnelles Handeln erforderlich. Das Kind hat nur noch wenig an, die Verbrühung mit offenen Blasen auf dem Oberschenkel ist deutlich zu sehen. Die Mutter berichtet kurz von frisch gebrühtem heißen Kaffee. Wir fragen nach Mutterpass und Co, den soll die Mutter bitte holen. Meine Fahrerin steht nun auch neben mir, nimmt der Mutter das Kind ab. Dies gefällt dem Kind gar nicht, das typische Protestgeschrei, wenn Kinder zu fremden Leuten sollen, geht los. Für uns ist das beruhigend, dem Kind geht es also gar nicht so schlecht, wie erst vermutet. Wir bringen das Kind direkt in den jetzt eingetroffenen Rettungswagen, den lautstarken Protest des Kleinen ignorierend.

Die Mutter kommt nach, der Kleine lässt sich gut von ihr wieder beruhigen. Wir können Vorerkrankungen und Allergien ausschließen. Schmerzzäpfchen und Nurofensaft darf die Mutter ihrem Kind geben, das funktioniert ganz gut. Unser Kindergurtsystem können wir nicht einsetzen, da wir einen Gurt genau über die verbrühte Haut legen müssten. Wir entscheiden uns daher für eine nicht ganz so sichere, aber akzeptable Lösung und legen die Mutter mit ihrem Kind zusammen auf die Trage. Dass der Kleine dabei einen Gurt quer über den Bauch bekommt, akzeptiert er sogar schon ohne Murren, bei Mama ist es doch am schönsten. Mittlerweile ist die Angst unseres Patienten eher gesunder Neugierde gewichen. Selbst das kindertypische „Tatütata“ konnten wir vernehmen – nur dieses Mal kam es von dem Auto, in dem er saß.

Mir fiel auf, dass beide Eltern die Situation relativ professionell angingen – nicht emotionslos distanziert, aber die typische Aufgeregtheit ist deutlich geringer als sonst. Normalerweise kostet es immer viel Zeit, die Eltern zu beruhigen, dass war hier nicht so. Wir nutzten die Zeit zum Gespräch und konnten erfahren, dass die Mutter Ahnung von erster Hilfe und erster Hilfe am Kind hatte. Das erklärte natürlich einiges:

  • Sie konnte professionell erste Hilfe leisten und so dem Kind die Schmerzen reduzieren
  • Sie wusste schnell, dass das Kind Hilfe brauchte, aber dass es nicht in Lebensgefahr war
  • Sie war daher viel ruhiger – diese Ruhe übertrug sich auf das Kind, sie konnte ihm Sicherheit geben

Der ganze Ablauf war dadurch ruhiger und trotzdem viel schneller als sonst – so muss es laufen.

Ich kann nicht oft genug Werbung für Erste-Hilfe-Kurse machen. Bei eigenen Kindern oder Kindern in der Nähe auch immer für die speziellen Kurse für Kinder. Die dort erlernten Fähigkeiten werden nur seltenst gebraucht – aber wenn doch, dann hilft dies extrem – wie in diesem Fall.

Bild von Christoph auf Pixabay

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