Website-Icon Tiuris Leben als (Not-)Arzt

Was Patienten treiben, wenn keiner hinguckt …

Wie bei Kindern, so ist es auch Patienten. Wir schaffen es nicht, ständig auf sie aufzupassen. Da wir unsere Patienten auch nicht gut kennen, sind die Überraschungen besonders groß, wenn unsere ersten Erwartungen falsch sind. Ein paar Anekdoten habe ich hier für Euch:

Ein Patient wird zur Abklärung von Magenproblemen eingeliefert. Nachmittags ruft erbost die Tochter an, warum wir ihren Vater wieder entlassen hätten – der Patient war dann doch dementer als angenommen. Die Vorwürfe der Tochter waren übrigens ein Eigentor, sie hatte jedes Anzeichen einer Demenz vehement verneint.

Ein adipöser Patient ist bettlägerig und benötigt zur Versorgung drei Pflegekräfte. Angeblich konnte ihn die Frau alleine zu Hause versorgen. Wir rätseln, wie das geht und versuchen, einen Pflegeheimplatz aufzudrängen. An Tag vier spreche ich das Thema bei der Visite an. Die Schwester erzählt lachend: Der Patient habe morgens um Hilfe gerufen. Er ist plötzlich alleine aufgestanden und hat sich in den Stuhl gesetzt. Dabei hat er sich aber wegen des Übergewichts zwischen die Armlehnen verklemmt und kam nicht mehr alleine hoch – deshalb die Hilferufe. Der Patient war tatsächlich nur kurzzeitig krankheitsbedingt komplett bettlägerig und ganz plötzlich wieder mobil.

Ich laufe über eine Nachbarstation, dort steht ein orientierungsloser Mann in einer Zimmertür und sucht seine Frau. Ich geleite ihn wieder ins Zimmer zurück und sehe dort den Klinik-Klassiker: Der Blasenkatheter des Mannes hängt noch am Bett. Ich kann den Mann beruhigen, setze ihn aufs Bett und informiere die Schwester ein paar Räume weiter. Wie, Zimmer X? Der kann gar nicht alleine aufstehen! Wohl doch …

In der Notaufnahme werden nach einer anstrengenden Nacht mit großem Festival im Nachbardorf eine junge Patientin und ein Patient vermisst. Es macht sich erst mal niemand Sorgen, die Alkoholpatienten verschwinden gerne heimlich – aus Scham. Später werden beide zusammen auf einem Klo entdeckt. Er: „Sie war mit einmal da und meine Hose plötzlich unten!“ – Sie: „Ich bin verheiratet – wenn das mein Mann erfährt!“ – Über diese Nacht lacht die Pflege unserer Notaufnahme bis heute!

Ebenfalls die Notaufnahme, eine wegen einer Fraktur ans Bett gebundene Frau ruft mitten in der Nacht um Hilfe: Der demente und als bettlägerig eingeschätzte Nachbarpatient konnte doch aufstehen – hat auf der Suche nach einer Toilette allerdings ihr Bett mit einem Urinal verwechselt …

Eine als „ruhig“ eingeschätzte demente Dame bekommt Erythrozytenkonzentrate (Blutkonserven). Offensichtlich findet sie rote Infusionen interessanter als die durchsichtigen davor. Sie hat sie entfernt, fleißig damit umher gewedelt (siehe Wände) und dann irgendwann neben sich abgelegt. Danach lag sie natürlich wieder ganz brav (jedoch schief) im Bett.

In der Psychiatrie einer Nachbarklinik hat eine Patientin es im Alkoholentzug nicht mehr ausgehalten. Statt jedoch um Hilfe zu bitten, leerte sie in ihrer Verzweiflung die Desinfektionsbehälter – und landet auf unserer Intensivstation.

So lustig die Situationen manchmal klingen – es kostet viel Zeit und Geduld. Und gerade bei dementen Patienten können und dürfen wir diesen dies nicht übel nehmen. Sauer sind wir nur manchmal auf die Angehörigen. Aus Angst, Scham oder warum auch immer werden bekannte Probleme verschwiegen und manchmal bewusst verleugnet.

Und nicht selten enden „heimliche Aktionen“ auch traurig. Ich habe bisher zwei Patienten erlebt, die offensichtlich keine andere Lösung gefunden haben, als sich aus dem Fenster zu stürzen.

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