Wie man sich als Notarzt schnell unbeliebt macht …

Morgens gegen 4.00 Uhr geht der Melder. Verdacht auf Herzinfarkt in der hintersten Ecke meines aktuellen „Reviers“. Das einzig gute daran: Die Straßen sind noch leer und der Rettungswagen wird deutlich vor uns da sein.

Die Hausnummer brauchen wir auch nicht lange suchen, der Rettungswagen steht davor und die Haustür ist schon offen. In dem Mehrfamilienhaus scheint die Diskussion um den Datenschutz schon weit voran geschritten zu sein, bei nicht mal einem Viertel der Wohnungen klebt ein Name dran. Und keine der Türen ist als weiterer Tippgeber geöffnet.

Zurück vor dem Haus finden wir die Klingelanlage und versuchen es also auf dem klassischen Weg. Im Treppenhaus läuft uns dann eine erschrockene Dame mittleren Alters entgegen – erschrocken darüber, wieviel Leute nun eigentlich zu ihnen kommen. Ihre Wohnungstür hatte sie wieder zugezogen. Statt nun zu öffnen, begann sie erst mal eine Debatte mit uns, warum nun so viele Leute notwendig seien. Meine Fahrerin erwies sich als ungeduldiger als ich und bat die Frau, uns nun doch mal rein zu ihrem Mann zu lassen.

Der erste Eindruck der Wohnung erklärte zumindest, warum die Wohnungstür besser geschlossen sein sollte. Es sah aus und roch nach Alkoholikern. Trotzdem sind wir da zum helfen, meist wird es aber deutlich komplizierter. Der Mann saß am Küchentisch und hatte seit drei Tagen konstante linksseitige Brustschmerzen. Warum er nun morgens gegen vier Uhr Hilfe brauchte, konnte er nicht so richtig erklären: „Na, bei Brustschmerzen ruft man doch die 112!“ – „Ja, aber nicht erst nach drei Tagen!“ – die etwas barsche Antwort meines Rettungsdienstkollegen verriet mir, dass auch sie von der Situation nicht gerade begeistert waren. Ich fragte den Patienten aus, untersuchte ihn kurz und schaute mir das EKG an. Ein Herzinfarkt war sehr unwahrscheinlich, aber sicher ausschließen konnte ich ihn nicht. Also entschied ich, den Herrn mitzunehmen.

Während wir alles vorbereiten, fragte mich seine Frau: „Darf ich sie mal was ganz anderes fragen?“ Da wir in diesem Moment alle beschäftigt waren, antwortete ich: „Jetzt gerade nicht, aber gleich“ Unbeirrt fragte die Dame weiter: „Wie groß sind Sie denn?“ „Jetzt nicht“ antwortete ich etwas genervt, da ich mich eigentlich auf den Patienten konzentrierte. Auch dieser nahm die Situation nicht so ernst und wollte erst einmal auf die Toilette. Angesichts der bereits erfolgten „Verkabelung“ mittels EKG, Blutdruck, Sättigung und Infusionssystem eine Herausforderung. Da ich mir ziemlich sicher war, dass der Patient keinen Herzinfarkt hatte, ließ ich alle Kabel bis auf das Infusionssystem wieder abbauen. Der Patient verschwand auf der Toilette. Die weit aufgelassene Tür sorgte für unangenehme Einblicke, ich fand nun plötzlich die Wohnungseinrichtung viel interessanter. Aus einem nicht sichtbaren Raum im Hintergrund hörten wir lautstark die Ehefrau jammern, beinahe weinen: „Der Herr Notarzt verrät mir nicht, wie groß er ist!!!“ usw. Die Blicke meiner Kollegen sagten alle eins aus: Und das um die Zeit. Der Patient war fertig und stand ziemlich schnell wieder im Flur. „Ähm, die Hände dürfen Sie sich bitte waschen, so steigen Sie mir nicht in den Rettungswagen!“ – ich machte mich weiter unbeliebt. Mürrisch kam der Patient der Aufforderung nach und lief dann mit uns in den Rettungswagen, wo ich ihn korrekterweise erneut verkabeln ließ. Währenddessen debattierte er nun mit uns, in welche Klinik wir fahren würden. Mit der nächstliegenden war er nicht einverstanden, da habe er vor Jahren mal schlechte Erfahrungen gemacht – die er erstaunlicherweise aber nicht ausführen wollte. Bei begründeten Problemen kommen wir solchen Wünschen auch gerne nach, soweit es möglich ist. Aber hier nicht. Ich entschied mich für eben diese nächstliegende Klinik, woraufhin Protest einer anderen Art erfolgte: „Warten Sie, da muss ich erst meine Frau fragen, ob Sie das entscheiden dürfen!“

Die Vorstellung, dass eben jene Frau nun wieder eine Debatte beginnen würde, war uns absolut nicht geheuer. Meine Winke wurden vom Team verstanden, die Tür wurde geschlossen und los ging es. Ein Kollege erklärte dem Patienten die rechtliche Aussage „Wir haben die nächstliegende geeignete Klinik anzufahren!“ Dass der Patient den Rest der Fahrt beleidigt keinen Ton mehr sagte, fanden wir nun wiederum auch nicht besonders schlimm.

Manchmal können wir nicht allen Wünschen Folge leisten. Wie wichtig dies ist, zeigte ein echter Notfall direkt im Anschluß. Für den nachfolgenden Patienten hätte ich nicht da sein können, wenn ich weitere Debatten zugelassen hätte oder eben doch in die Wunschklinik gefahren wäre.

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